Daniela Caixeta Menezes

Zwei Leben

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Sie war gerade zwanzig, als ihr zweites Leben begann – weit weg von daheim, an einem Ort, mit dem sie nichts verband. Ihr Mann wohnte schon viele Jahre dort, er schwärmte von dieser Stadt, auch sein Bruder und sein Cousin. Sie würde es gut dort haben, versprach er ihr, eine große Familie, ein neues Zuhause. Und für ihn selbst eine Zukunft, die er in seiner Heimat nicht sah.

Die Hochzeit, ein schillerndes Fest, wie es dort, wo sie herkommen, üblich ist. Dann der Abschied: von den Eltern, Geschwistern, dem vertrauten Umfeld.

Sie verlässt ihr erstes Leben, die Augen nass, starr, nach vorne gerichtet, immer nach vorne schauen, mahnt sie sich. Hat sie nicht Glück gehabt? So viele haben es nicht, ein Blick zurück ins Dorf genügt, um zu erkennen, wie gut es das Schicksal doch mit ihr meint. Sie will es glauben, schreibt es sich auf, um nie zu vergessen, beteuert es ihrem Spiegelbild, Tag für Tag.

Bald das erste Kind, ein Mädchen, kurz danach wird der Sohn geboren, dann noch ein Mädchen. Behütet und glücklich wachsen sie auf, sind erfolgreich und fleißig in der Schule. Jeden Sommer: Odyssee, fünf Tage im Auto, zu Oma und Opa, Olivenhaine und frische Pistazien. Die Kinder, sie springen zwischen den Welten, sorglos, fühlen sich hier wie dort Zuhause, sie vermissen nichts. Der Vater, auch der vermisst nichts. Für ihn geht nur ein weiterer, unbeschwerter Sommer zu Ende.

Aber die Mutter, sie wird sich wohl nie ganz gewöhnen an den Schmerz, der mit dem Abschied kommt, dem Abschied von Land und Leuten, vom früheren Ich, das hier wieder in den Vordergrund drängt und in ihrem zweiten Leben nichts gilt. Ihr altes Kinderzimmer: ein Schrein der Vergangenheit, Bilder, Briefe, Zeugnisse, immer wieder Zeugnisse. Die davon erzählen, wer sie einmal war und vielleicht geworden wäre, an diesem Ort, aber gleichzeitig nicht mehr von Bedeutung sind, an jenem Ort, der jetzt ihr Zuhause ist.

Zehn Jahre ist es alt, ihr zweites Leben, wo ist sie hin, die Zeit? Wie habe ich sie verbracht, diese Jahre?, fragt sie sich, ausgerechnet sie, die nicht zu Trübsal oder Resignation neigt; die trotzdem sieht, wie alles gerinnt, wie sie dahin treibt, im Gepäck ihr erstes Leben, Ballast und Ansporn zugleich.

Auf dem Weg zurück reift ihr Entschluss: das alte und das neue, es gehört zusammen. Aber die Hürden der Bürokratie kosten sie den Herbst und Winter, ebenso das darauffolgende Frühjahr und ein ganzes weiteres Jahr – Zeit und Nerven und Geld. Bis der Tag gekommen ist, der Tag, an dem das alte und das neue Leben zu einem Ganzen werden, und ihre Hände umklammern ein formloses Schreiben: Immatrikulationsbescheinigung.