Daniela Caixeta Menezes

zuhören

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In seiner neongelben Jacke ist er schon von Weitem zu sehen. Warm muss ihm sein unter diesen Daunen, gerade hat die Uhr zwölfe geschlagen, die Sirenen haben es uns verraten, somit steht sie senkrecht über uns, die Sonne. Doch sein Temperaturempfinden scheint nicht mit dem unseren zu korrespondieren, mit dem festen Schuhwerk und dem Rucksack über der Schulter könnte er auch genauso gut auf dem Weg in die höchsten Höhen sein, wissen wir’s?, nein, wir wissen’s nicht. Doch gleich darauf werden wir erfahren, wer er ist, wenn auch nur anhand von Anhaltspunkten, die wir anschließend zusammen klamüsern müssen wie ein in hundert Einzelteile zerrissenes Foto.

Kaum hat er im Vorbeigehen ein paar Wortfetzen aufgeschnappt, dreht er sich um, erkundigt sich freundlich, kommt ihr aus Deutschland?, kommen wir, schon beginnt er zu reden, es sprudelt aus ihm heraus, spricht von Menschen und Momenten, Dingen, die ihm wohl lieb und teuer sind. Wir haben die Rollen getauscht, nun sind wir es, die seinen Worten lauschen, auch wir: freundlich, dem fremden Mann zugewandt, bemüht, unsere Begriffsstutzigkeit zu kaschieren. Mit jeder Minute fällt es schwerer, unsere Mimik im Zaum zu halten, ein vorsichtiger Blick zur Seite, könnt ihr ihm folgen, rätselt auch ihr?

Doch der Mann in der gelben Jacke ist in seine Erzählung vertieft, ein Glück, so bleibt zu hoffen, dass er in der Tat nichts von all dem spürt, von der Ratlosigkeit und auch nicht von unserem Bedauern, das sich auf unseren Gesichtern spiegelt. Was soll er auch damit?, nein, welch Vergeudung, lasst ihn erzählen, selbst wenn er am Ende gar nichts sagt, erzählen soll er, es sich von der Seele reden: das mit seinem deutschen Vater, von dem seine Liebe zu unserem Heimatland rührt, der Vater, dessen bester Sohn er immer war, so haben’s die Leute stets beteuert, die Leute und seine Großeltern sowieso, Gott hab’ sie seelig; auch vom Parkplatz muss er erzählen, freilich ein bedeutender Ort in seinem Leben, dort ist er wer, nämlich ein hart schuftender Arbeiter, den Kollegen der liebste; und dann ist da noch die Claudia mit ihrem gelähmten Bruder, für die er das Haus oben am Hang ausbauen will, wo sie’s doch so schwer gehabt haben.

Er schaut uns in die Augen, während er spricht, jedem von uns der Reihe nach, wir trauen uns nicht, den Blick abzuwenden und es gehört sich auch nicht, schließlich hat der Mann viel zu erzählen, also gucken wir zurück und er erzählt weiter in seinem freundlichen Singsang, so monoton und angenehm und gleichzeitig so unverständlich, dass es etwas Hypnotisches an sich hat. Nichts an seiner Erzählung ergibt Sinn für uns, alles fließt, wirkt wie ein Strom, beinahe so, als stamme es unmittelbar aus der Feder eines Dramaturgen.

Nach jedem Satz erwarte ich das Ende, trippel ein wenig nervös auf der Stelle, ohne den Augenkontakt abreißen zu lassen, übe mich in höflicher Zurückhaltung. Wir lächeln, machen gute Miene zum unbekannten Spiel, bis es schließlich da ist, das Ende seiner Erzählung, und wir wieder unserer Wege gehen. Wir und der Mann in der gelben Jacke, mit seinem Vater und der Claudia.