zuhause
Ich ziehe die Jalousien hoch, reiße das Fenster auf, die Morgensonne scheint mir ins Gesicht. In den kristallenen Kugeln, die an der Scheibe baumeln, bricht sich das Licht und malt fluoreszierende Figuren an die Wand mir gegenüber. Einen Moment stehe ich dort, genieße die frische Luft, tanke Vitamin D und Sauerstoff, kann die Augen nur blinzelnd öffnen.
Ein neuer, heller Tag ist angebrochen, und die Helligkeit weckt die Geister in mir. Nachts schlafen auch sie, die Quälgeister, erholen sich von ihrer anstrengenden Aufgabe, Unruhe zu stiften. Nachts geben sie Ruhe, alle Anspannung fällt von mir ab, mein Körper wird schlaff, die Gedanken verschwommen. Morgens sind sie zurück, sie klettern aus den Untiefen meiner Seele empor und ergreifen Besitz, belagern meinen Verstand.
Ich stehe am Fenster und die Geister erwachen. Sie sind keine Langschläfer, sie müssen nicht langsam aufwachen, sie müssen sich nicht wieder neu anpassen, sich akklimatisieren, sie wachen auf und machen sich ans Werk, säen Grübelei, pflanzen Unruhe, treiben ihr Unwesen.
Ich schließe die Augen, genieße die Wärme auf meiner Haut, die ersten Sonnenstrahlen des Tages haben etwas Magisches; jeden Tag kriechen sie etwas früher über den Bergrücken, ich studiere ihr Kommen und Gehen wie eine Wissenschaftlerin, es ist zu einem Zwang geworden. Mit den Ellenbogen stütze ich mich auf dem Fensterbrett ab, drücke das Becken gegen die kalte Wand darunter, möchte das Licht, die Wärme, den Moment konservieren.
Auch meine Gefühlswelt möchte ich studieren, jetzt, wo ich zurück bin, zurück zuhause, was auch immer das für mich bedeutet, doch die Geister lassen mich nicht, sie wirbeln in meinem Kopf durcheinander, konterkarieren meine Versuche, Ordnung zu schaffen, Ordnung zu halten.
Wie fühle ich mich?, möchte ich mich fragen und die Frage dann in ihre Einzelteile zerlegen, sie durchleuchten, bis der nackte Kern erkennbar wird, wie fühle ich mich hier und anderswo?, ohne dass ich dieses Anderswo näher benennen könnte, selbst wenn die Geister mich ließen.
Eine Sekunde, zwei Sekunden, die Frage liegt mir auf den Lippen, beinahe gelingt es mir, sie leise vor mich hin zu murmeln, doch die Geister, sie lassen mich nicht, legen stattdessen Hindernisse in meinen Weg, altbekannte und neue.
Mir wird schwindelig davon, ich drücke meine Hüfte noch fester gegen die Wand, ich hoffe, dass sich der feste Halt auf mein Inneres überträgt, nach Halt und Stabilität und klaren Antworten sehne ich mich.
Wie fühle ich mich hier?, die Frage, lässt sich nicht abschütteln, klebt an mir wie eine zweite Haut, ich will sie abwerfen, als wäre ich eine Schlange.
Ich schaue auf, mit der Hand schirme ich die Sonne ab, gleite mit den Augen über die Landschaft, fühle mich eingebunden, als wäre ich ein Teil von ihr geworden. Der Frühling schickt seine ersten Boten, lässt die Knospen sprießen, hüllt das Gras in frisches Grün, Stare sausen in kunstvoller Formation durch die Luft, ich schaue und schaue, kann mich nicht satt schauen.
Wie fühle ich mich hier?, ein Star unter tausenden Staren möchte ich sein, mich ihnen ihren kunstvollen Formationen anschließen, umher fliegen, mich mein Ziel finden lassen, doch die Geister wollen mit mir fliegen, setzen sich auf meine Flügel, werden zu Drohnen, zu blinden Passagieren.
Wohin?, fragen sie und drehen den Spieß um, jetzt stellen sie die Frage, als hätte ich eine Antwort darauf, auf diese oder auf irgendeine andere Frage.
Meine Ellenbogen auf dem Fensterbrett schmerzen, ich lasse mich heruntergleiten, die Wand darunter fühlt sich jetzt weniger kalt an, auf dem Boden angekommen lehne ich meinen Rücken dagegen. Vor mir sehe ich die Reflektionen der Glaskugeln, das Lichtspiel beruhigt, auch die Geister scheinen für einen Augenblick besänftigt, zusammen geben wir uns dem hübschen Anblick hin. Ich bin gebannt, kann mich nicht lösen, der Tanz der Formen ist hypnotisch.
Wie fühle ich mich hier und anderswo?, will ich mich fragen, aber meine Gedanken zerfasern, entgleiten mir. Die Minuten verstreichen, womöglich ist hiernach alles anders, denke ich, es hat etwas Meditatives, einfach nur hier zu sitzen, womöglich ist hiernach alles anders.