Daniela Caixeta Menezes

zehn sekunden

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In Rom hat sich dieser Tage Ungeheuerliches zugetragen, doch der Aufschrei bleibt aus. Wobei die italienische Stadt sich hier als Chiffre lesen lässt: Im Grunde ist Rom überall, häufen sich die Vorfälle wie jener, der beinahe unkommentiert bleibt und dennoch sprachlos macht, hier wie dort – im Herzen der ach so fortschrittlichen Welt.

Wovon ist die Rede, was ist geschehen?

In Rom also hatte ein Hausmeister zehn Sekunden lang seine Hand in die Hose einer Schülerin gesteckt.

War doch nur ein scherzo, lachte der sechzigjährige Mann vor Gericht den Missbrauch weg, ein Witz, kaum der Rede wert.

Und die männlichen Richter? Stimmten zu, stimmten dann abends in der Bar mit ein ins schmutzige Grölen des Täters, zehn Sekunden, einfach nur ein kleiner Scherz, haha.

Zehn Sekunden, so die Begründung, was sind schon zehn Sekunden?, nein, da soll man die Kirche mal schön im Dorf lassen und sich nicht wieder echauffieren, so viel Lärm um nichts. Davon gibt es schließlich schon zu Genüge, nicht wahr?, Gender-Gaga, Feminismus-Kram, nicht mal Flirten ist noch erlaubt!

Und schwupps, im Gericht wie in der Kneipe schlittern wir zurück in vergangene Zeiten, wo alles erlaubt und nichts verpönt, wo ein freies Leben ohne Zensur und jedwede Art von Gängelung noch möglich war.

Aber hoppla, Moment, waren sie jemals richtig weg, die goldenen Jahrzehnte des Patriarchats, als ein Klapser auf den Po salonfähig, ein Pfiff pure Schmeichelei, die Sprache sowieso ein Bolzplatz mit scheinbar grenzenloser Narrenfreiheit war?

Der weibliche Körper ein Objekt, ein „Nein!” bloße Koketterie, Misogynie verpackt als Kompliment – was gaben wir uns Illusionen hin, all das könne längst überwunden, die Gleichberechtigung der Geschlechter zum Greifen nahe sein.

Bis Rom uns eines Besseren belehrte, Rom und jeder einzelne Ort auf dieser Welt, an dem sich toxische Männlichkeit festkrallt und nicht mit vereinten Kräften ins Totenreich geschleudert wird. Orte, an denen der römische Hausmeister und seinesgleichen sich im wilden Westen wähnen, diese echten Männer, Cowboys und Gendarmen, alleinige Ernährer, Kraft- und Machtprotze in jeder Hinsicht, welch goldene Ära!

Wie’s dem Mädchen geht?, wir wissen‘s nicht.

Und unserer Gesellschaft?

Ja wie soll es schon um sie stehen, solange kurze Röcke zum Übergriff verleiten, ja ihn rechtfertigen, sexuell belästigte Mädchen und Frauen kein Recht und schon gar keine Gerechtigkeit erfahren, solange wir die immergleichen Debatten führen, sie führen müssen?

Zurückkatapultiert oder niemals wirklich vorangekommen, mit jedem Jahr, das vergeht, verblasst der Traum an ein Morgen, in dem wir alle verdammt nochmal tragen und sein und lieben dürfen, wen und was wir wollen. Und in der unbestraft grapschende Hausmeister nichts mehr als eine auf ewig mahnende Erinnerung an eine düstere Vergangenheit sind.

Ein Traum, weit weg scheint er; Rom ist überall. Es darf nicht beim Träumen bleiben, heute noch weniger als damals.

Es braucht einen Aufschrei! Schreien wir auf, jetzt, sofort, und hören erst wieder auf, wenn auf Unrecht Recht und Gerechtigkeit folgt.