Daniela Caixeta Menezes

Weihnachten

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Da ist sie wieder, die heimelige Zeit,
Muße, Gemeinschaft, Besinnlichkeit,
so das Versprechen, wie wird es wohl in diesem Jahr sein?

Straßen und Bäume in goldenes Licht getaucht,
bunte Rentiere an Balkonen,
Fensterscheiben beklebt, behangen,
geschmückt mit allerlei Tand,
handgeblasene Kugeln aus Omas Fundus,
Selbstgebasteltes, Herrnhuter Sterne.

Stolz reckt die Nordmanntanne ihr immergrünes Haupt
der Decke entgegen,
thront in der Mitte des Zimmers wie eine Königin.
Ein feierlich gedeckter Tisch, einmal im Jahr
kommt es zum Vorschein, das edle Service, Kristallgläser,
Servietten aus feinem Leinen.

In der Luft der verführerische Duft von Plätzchen
– Zimt, Kardamom, Nelken.
Strahlende Kinderaugen, vor Aufregung rote Bäckchen,
wann ist es endlich soweit?

Doch erst einmal wird sich in Mäntel, Schals und Mützen gehüllt,
gewappnet gegen alles, was da draußen kommen mag
– Schnee, Eis, Münsterländer Sprühregen.

Hinaus aus der Behaglichkeit des trauten Heimes,
hinein in die verlockende Welt der Weihnachtsmärkte,
sieht nicht alles plötzlich wie verzaubert aus?

Im Getümmel zwischen den Ständen
tauen verfrorene Finger und Zehen bald wieder auf,
für den Rest sorgen Glühwein und Punsch.
Zig Düfte, die sich überlagern, einer himmlischer als der andere, vergessen der Stress der letzten Tage,
die morgendlichen kleinen Querelen.

Nun heißt es Augen und Herzen auf.
Es funkelt und blinkt und glänzt,
Kostbarkeiten und Kurioses.
An der nächsten Ecke ein Chor in Engelskostümen,
heiteres Schunkeln, leises Mitsummen,
zum krönenden Abschluss ertönt die Hymne dieser Jahreszeit:
Stille Nacht, heilige Nacht,
nun singen alle.
O du fröhliche Weihnachtszeit!

Doch so golden die gelebte Glückseligkeit,
so fröhlich und ausgelassen der Festschmaus im Kreise der Lieben, so flüchtig ist auch der Augenblick,
kostbarer als jeder Edelstein,
zerbrechlich wie Glas.
Welch Privileg, zusammen zu sein,
hier und heute, in Sicherheit und Frieden,
gewärmt und geschützt, geliebt und geborgen.

Beileibe keine Selbstverständlichkeit,
ist nie eine gewesen,
ist es auch in diesen Tagen nicht,
nein, ganz besonders nicht in diesen Tagen.

Denn in diesen Tagen ist unser aller Stimmung auch: getrübt.
Gedanken an Krisen, Konflikte und Kriege,
an Menschen, denen es an Schutz und Gemütlichkeit fehlt,
am Notwendigsten zum Leben, zum Überleben,
die ohne Hoffnung und Zuversicht sind.
In der Ferne, aber auch hier, in unserer Mitte.

Beklemmende Bilder und Berichte,
die von überall her zu uns drängen,
uns sprach- und ratlos machen,
uns mit Schuldgefühlen plagen:
darf man das wirklich, Weihnachten feiern, glücklich sein,
angesichts des Leides in der Welt?,
fragen wir uns, ohne je zu einer Antwort zu gelangen,
weil Fragen wie diese maximal komplex,
aber im Grunde minimal zielführend sind.
Weil sie niemandem helfen,
am allerwenigsten jenen, die nicht im Warmen und Sicheren sitzen.

Ja, man darf, wir alle dürfen glücklich sein,
heute, morgen, zu Weihnachten und an jedem anderen Tag.
Seien wir glücklich und dankbar und demütig
angesichts der vielen guten Dinge in unserem Leben, Immaterielles, unbezahlbar, manchmal kaum wahrgenommen, so normal, so alltäglich.
Schauen wir hin,
machen wir uns unserer vielen Annehmlichkeiten bewusst,
ohne all’ das Leid auf unseren Schultern zu tragen.

Tragen wir stattdessen wachen Blickes und erhobenen Hauptes
unser Glück in die Welt hinaus,
bemühen wir uns, es mit all jenen zu teilen,
die vom Unglück gebeutelt und häufig fast unsichtbar sind,
ihr Leid so normal, so alltäglich.

Da ist sie wieder, die heimelige Zeit,
Zeit für Muße, Gemeinschaft, Besinnlichkeit.
Fröhliche Weihnachten: mehr als ein Wunsch
— ein Versprechen, ein Auftrag.