Daniela Caixeta Menezes

warten

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Sie sitzen im Wartezimmer und warten. Die Stühle sind schrecklich unbequem, ihre Lehnen aus metallenen Stäben bohren sich in den Rücken. Menschen, die in Wartezimmern warten, sollen es wohl nicht bequem haben beim Warten. Damit sie vom Warten abgelenkt werden vielleicht.

Einer nach dem anderen rutscht auf dem unbequemen Stuhl hin und her, drückt den Rücken durch, postiert sich neu, lehnt sich wieder zurück, zumindest für kurze Zeit. Der Vater ist der Erste, der sich nach einer Weile erhebt, der Stuhl ist ihm einfach zu unbequem geworden.

Auf der Suche nach neuer Ablenkung geht er zum Fenster, schaut hinaus, geht zurück, zieht seine Bahnen wie ein Schwimmer, den Blick starr geradeaus. Nach der zehnten Bahn bleibt er am Fenster stehen, schiebt an einer Stelle die Lamellen der Jalousie auseinander, schielt durch die kleine Öffnung, verweilt ein wenig.

Was sieht er?, blickt er auf jemanden dort unten herab, malt sich aus, was diese Person denkt, was sie als nächstes tun wird?, stellt sich vor, ob dieser Mensch auch schon einmal in einer ähnlichen Situation gewesen ist, dasselbe empfunden hat?

Seine Frau beobachtet ihn dabei, ihre Augen sind auf seine Fersen gerichtet, sie folgen seinen Schritten; es ist ein schlauchartiges Wartezimmer, eine Bahn des Schwimmers zieht sich wie Kaugummi, fünf Sekunden, sieben vielleicht, bevor die Tür erreicht ist, die Kehre folgt und die Bahn zurück.

Wann wird diese verflixte Tür sich endlich öffnen?, will sie das Warten unterbrechen, der unbequeme Stuhl kann sie nicht ablenken, aber sie sagt es nicht, stattdessen folgt ihr Blick den gleichmäßigen Schritten ihres Mannes. Sie wünschte, er wäre nicht aufgestanden, auch wenn sie ihn verstehen kann, die Stühle sind unbequem und nichts hier kann von der entsetzlichen Warterei ablenken, wieso also sitzen bleiben und nichts tun?

Und trotzdem wünschte sie, ihr Mann säße noch auf seinem Stuhl, sie säßen einander gegenüber und könnten sich hin und wieder Blicke zuwerfen, tröstende, beruhigende Blicke.

Sie ruft ihn, will ihn wieder in ihrer Nähe wissen, doch er reagiert nicht, er steht noch immer am Fenster, sie sieht nur seinen Rücken, plötzlich kommt er ihr viel schmächtiger vor, das kann unmöglich der Rücken eines Schwimmers sein, denkt sie und verwirft das Bild gleich wieder. Wie das Gehirn sich beim Warten zermartert, sagt sie mehr zu sich selbst, schüttelt den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden.

Die Tochter streckt den Rücken durch, sie sitzt zwei Stühle weiter, kann mit der Hand die Türklinke erreichen, doch was nützt das schon, sie müssen warten.

Schließlich steht sie auf, geht vor ihrer Mutter in die Hocke, nimmt deren Hände zwischen ihre eigenen, drückt sie leicht, woraufhin ihre Mutter kurz aufschaut, ein schwaches Lächeln huscht über ihr Gesicht. Es gibt so vieles, was sie in diesem Moment sagen möchte, die Mutter, sie findet den Anfang nicht und fürchtet sich vor dem Ende, also sagt sie lieber nichts.

Am anderen Ende des Raumes hustet der Vater, Mutter und Tochter schrecken auf, so sehr waren sie wohl in Gedanken, er putzt die Nase, zerknüllt die Taschentuchpackung, das Plastik knistert.

Sie sind allein im Wartezimmer, Vater, Mutter, Tochter, außer ihnen wartet niemand, es ist noch früh, vielleicht ertönt später Musik aus den Lautsprechern, um vom Warten abzulenken; vielleicht werden später die Jalousien hochgezogen, damit mehr Licht ins Wartezimmer fallen kann; vielleicht bekommen auch die Pflanzen bei der Gelegenheit frisches Wasser, sie sehen traurig aus, lassen die Blätter hängen.

Der Vater hat sich wieder in Bewegung gesetzt, dieses Mal ähnelt es mehr dem Schreiten eines Tigers, der Tiger schreitet den Käfig des Wartezimmers ab. Bis den Vater das Warten und Schwimmen und Schreiten so sehr erschöpft, dass er sich auf seinen Stuhl fallen lässt wie ein schwerer Sack.

Einerseits ist seine Frau beruhigt, er ist wieder da und sie können Blicke tauschen, beruhigende Blicke, andererseits gefällt ihr nicht, was sie sieht, er wirkt so verloren,so eingesunken, wie er da sitzt, viel schmächtiger, auch er ist ängstlich, das sieht sie ihm an.

Diese verflixte Warterei, dieses Mal sagt sie es laut und bestimmt, sodass ihre Tochter, die noch immer vor ihr in der Hocke ausharrt, ihre Hand erneut drückt und ihr ein leises Schhhschhh zuraunt. Schhhschhh, flüstert sie beruhigend, als könne sie damit irgendetwas ändern, als könne überhaupt irgendetwas diese ganze Situation ändern, deren Ausgang im Grunde so klar ist, dass sich niemand etwas vormachen muss. Eine reine Formalie, wie sie üblich ist in solchen Fällen, ein Aufklärungsgespräch, das keines ist, weil es keiner Aufklärung bedarf, wenn plötzlich alles anders sein wird.

Dann, endlich, die Tür öffnet sich, bitte lass diese Warterei zu Ende sein, denkt die Mutter noch, der die Kraft für noch mehr zermürbendes Warten fehlt, da steckt jemand seinen Kopf ins Wartezimmer, auf den sie so lange gewartet haben, bei dessen Anblick die beiden Frauen jetzt aufspringen und auch der Vater sein Schreiten unterbricht und zur Tür hetzt, Augen und Mund weit aufgerissen, mit zittrigen Händen. Jetzt sind sie froh um die Stille, die sie umgibt, ohne Musikberieselung, dankbar für den frühen Termin und dass sie das Wartezimmer ganz für sich haben; noch schlimmer als das Warten wären die Blicke anderer Wartenden, fremder Menschen, die sie der Anonymität des Wartezimmers berauben würden. Eigentlich, denkt der Vater plötzlich, eigentlich war das mit der Warterei gar nicht so schlimm; wer wartet, der kann noch hoffen, kann sich in sein Warten einhüllen wie in einen schützenden Kokon.

Doch jetzt ist es vorbei, das Warten zu Ende, mit dem Kopf schiebt sich auch der dazugehörige Körper durch die Tür, dahinter die Ärztin im weißen Kittel, auf beiden Gesichtern der Anflug eines Lächelns. Endlich, denkt die Mutter, endlich, vorbei ist die quälende Warterei und immerhin lächeln sie. Die Tochter breitet die Arme aus, ihr Bruder lässt sich von ihnen umfangen, verweilt dort ein wenig, schhschh, flüstert sie, und er lässt sie gewähren, als könne es irgendetwas ändern, als könne überhaupt irgendetwas diese ganze Situation ändern.