Daniela Caixeta Menezes

morgen

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Das gute Leben, es beginnt morgen. Dann machen wir’s uns schön, mit allem, was dazu gehört, doch doch, ganz bestimmt. Aber heute, heute müssen wir noch schaffen, noch ein bisschen malochen, hecheln, die Moneten zusammenhalten. Wer es später einmal gut haben will, fängt besser früh an und hört so schnell nicht wieder auf, so lautet das Heilsversprechen. Tun, machen, bloß niemals untätig sein, Lohnarbeit, Überstunden, Einfahrt pflastern, es gibt doch immer was zu tun, schreit uns das Werbeplakat entgegen, ohne Fleiß keinen Preis, wer rastet, der rostet – und verdient das Morgen nicht.

Wo es um die deutscheste aller Tugenden geht, herrscht beileibe kein Mangel, gibt es sie zu Genüge: mächtige Sprichwörter, angebliche Weisheiten, über Jahrhunderte wurden sie uns eingetrichtert, mit der Suppe eingeflößt, sie sind unhinterfragter Teil unseres kollektiven Sprachgebrauchs, fließen wie selbstverständlich in unsere Gespräche ein wie klebriges Karamell.

Wenn du dich jetzt ins Zeug legst, wird alles gut, nur noch ein klitzekleines bisschen mehr. Die Werkhallen von einst sind wohl temperierten Büros gewichen, in den Stein von Fabriken wurden Lofts geschlagen, hier sitzt du an Designertischen und hackst in die Tastatur, hörst anderen beim Telefonieren zu, der Zerstreuung zwischendurch dient ein eigens dafür angelegter Raum, und die Dachterrasse mit dem Kickertisch nicht zu vergessen, also hier fehlt es an nichts!

Nein, hier fehlt es tatsächlich an nichts, verkünden die, die das Sagen hier haben, während sie in ihren breiten Sesseln in ihren ebensolchen Büros sitzen, man muss ihm ja was bieten, dem modernen Arbeitstier in seiner Legebatterie, ohne von anderen überboten zu werden. Sie verstehen sich auf dieses Spiel, von sogenannten Coaches wurden sie eingeführt ins Einmaleins der menschlichen Psyche, haben gelernt, in sie hineinzuschauen, in die Seelen der gar nicht mal so kleinen Leute, riechen deren Ängste, die zu Botenstoffen werden: nur noch ein bisschen, nur noch mal eben und dann nur noch kurz …

Die Losung, noch immer dieselbe wie damals, sie bleibt, auch wenn sich alles drumherum wandelt, höchstens das Antlitz ist ein anderes. Wehe dem, der träumend am Fenster steht, vor seinem inneren Auge die blühenden Landschaften vorbeifliegen sieht und mit dem Gedanken spielt, herauszuspringen aus dem ratternden Zug, einfach auszubrechen aus dieser gut geölten Maschinerie, die nie in die Jahre kommt.

Nur das Schmiermittel selbst, das geht mit der Zeit, Geduld und Gehorsam von einst sind den Idealen von Prestige und Selbstverwirklichung gewichen, einmal die steile Karriere bitte, den rechtmäßigen Geldsegen, die große Wirkung, gern im Komplettpaket mit der perfekten Familie, dem Eigenheim und mindestens einer Fernreise im Jahr.

Das hat natürlich seinen Preis, merkt der Mensch, er hat sich seine eigene Zelle gebaut, mit seinen eigenen zwei Händen, mauert sich jeden Tag weiter ein, während in den breiten Sesseln Beifall geklatscht wird.

Morgen, morgen ist Schluss, da fängt es an, das neue Leben. Oder vielleicht übermorgen, man soll ja nicht gleich übertreiben.