María
Woman in Portrait
»Ich lebe seit 5 Jahren in Rio. Warum bin ich hierher gekommen? Für mich war das eine sehr wichtige Entscheidung, die ich getroffen habe, mein Land zu verlassen und so lange hier zu bleiben. Ich habe Sozialwissenschaften studiert. Später wurde ich Managerin eines Sozialprogramms, das mit etwa 50 Kindern aus den Favelas von Cantagalo, Pavão und Pavãozinho arbeitet. Wir unterrichten zum Beispiel Englisch und Sozialkompetenz.
Im Prinzip bauen wir eine Brücke zwischen den Menschen in Ipanema, den
Menschen, die Zugang zu guter Bildung haben, und den Menschen aus der Gemeinschaft. Die Tatsache, dass wir uns hier an einem sicheren Ort befinden, erleichtert den Freiwilligen die Annäherung an die Kinder.
Die ursprüngliche Idee war also, diese beiden Gruppen von Menschen zusammenzubringen. Brasilien hat etwas, das du sicher bereits erkannt hast: es gibt auf beiden Seiten so viele Vorurteile, aber diese Menschen müssen zusammenleben, sie sind „gezwungen“, zusammenzuleben. Wir sind in Ipanema, in einem der teuersten Viertel von Rio, und die Favela liegt direkt hinter diesem Häuserblock. Man muss also mit den Armen leben, man muss mit Menschen unterschiedlicher Hautfarbe leben.
In diesem Bereich gibt es noch so viel Arbeit. Es ist so eigentlich so leicht
und daher so sinnvoll, dieses Programm zusammenzustellen. Zu Beginn hatten wir ein Sommerprogramm, bei dem die Kinder auch draußen in Ipanema gegessen haben.
Wir befinden uns hier in einer reichen Gegend. Daher ist es nicht
üblich, 25 Kinder aus der Favela hier zu sehen. Die Leute fühlten sich
zunächst ein bisschen unwohl, einigen gefiel es vielleicht nicht, aber andere kamen und fragten zum Beispiel 'Hey, was ist das, was macht ihr da? Wie kann ich helfen?' Während einige Einwohner definitiv dachten, dass diese Kinder nicht hierher gehören, waren andere wirklich interessiert und mochten unsere Initiative.
Die Wirkung des Programms war immens: wir begannen mit vier Kindern und jetzt sind es 50! Und wir haben eine lange Warteliste. Es ist wirklich… ich werde immer sehr emotional, wenn ich darüber spreche ... unsere Arbeit hier, diese Kinder sind der Grund für mich, jeden Tag aufzuwachen, ich liebe meine Arbeit wirklich. Es ist eine Möglichkeit, sich mit Brasilien zu verbinden, dazuzugehören.
Die Menschen in diesen Wohnvierteln, die oft an eine große Gemeisnchaft erinnern, sind so herzlich und dankbar! Und sie wissen, wie sie die Chancen nutzen, sie verlieren keine Zeit, um durchzustarten. Es gibt einige Kinder, die morgens lernen, nachmittags arbeiten und dreimal in der Woche hierher kommen.
Als ich 15 Jahre alt war, hatte ich andere Dinge im Sinn, ich wollte fernsehen und Musik hören. Sie sehen also: Mit so wenig Aufwand können wir das Leben dieser Kinder so sehr beeinflussen. Und ich bin sicher, dass es Möglichkeiten gibt: Wir arbeiten mit Stipendien, wir helfen ihnen, an die Universität zu kommen. Es ist also wirklich nicht viel Arbeit für uns oder für die Freiwilligen, ein wenig unserer Zeit zu widmen. Für diese Kinder macht es einen solchen Unterschied in der Zukunft. Das ist der Grund für mich, hier zu sein!
Wir arbeiten mit Ausländern zusammen, aber auch mit brasilianischen
Freiwilligen. Das gibt uns etwas mehr Stabilität. Und wir fordern ein
langfristiges Engagement. Was wir wollen, ist 1-zu-1-Beziehungen herzustellen, zum Beispiel durch Nachhilfe. Wir möchten, dass sich die Menschen engagieren und Vorbilder werden. Es ist nicht nur so, dass sie Mathematik unterrichten, nein, sie geben Impulse, sie zeigen ihnen, dass es verschiedene Lebensmöglichkeiten gibt.
Denn für diese Kinder sind die Möglichkeiten normalerweise das, was sie sehen: sie wachen auf, sie werden 13 Jahre alt, sie arbeiten am Strand ode verkaufen Bier auf der Straße. Es gibt nicht viele Optionen, die ihnen bekannt sind. Sie denken: meine Mutter macht dies oder jenes, mein Vater arbeitet auf dem Bau. Das ist das, was sie sehen. Und einige Eltern sagen ihren Kindern, dass sie lernen sollen, um die Chance zu haben, etwas anderes zu werden. Wir nehmen diese Kinder mit offenen Armen auf und versuchen alles, um ihnen dabei zu helfen.
In meiner Freizeit segel ich, das ist quasi mein Ausgleich. Ich habe eine
kleine Segelfirma mit ein paar Freunden. Die Lebensqualität in Brasilien ist
trotz der politischen Situation und Sicherheitsfragen erstaunlich. Ich habe
mein Herz geöffnet und auf viele Vorteile verzichtet, die ich mit einer
anderen Art von Arbeit in Buenos Aires hätte.
Aber ich bin sehr glücklich. Ich weiß, dass ich einige Dinge hinter mir gelassen haben und dass ich ein einfacheres Leben führe, aber es für andere vielleicht sinnvoll erscheint. Aber ich finde, wenn wir Privilege haben, schulden wir auch etwas. Die Welt hat nur begrenzte Ressourcen, und wenn ich mehr davon bekomme, kriegen andere autoamtisch weniger.
So funktioniert das System. Wenn wir also ein Privileg haben - wenn ich zum Beispiel jetzt in einem anderen Land lebe, wenn ich meine
Rechnungen bezahlen kann - haben wir eine Pflicht. Ich bin überzeugt, dass wir, wenn wir uns unserer Privilegien bewusst sind, wissen, was zu tun ist, um diese Ungleichheit auszugleichen.«
--
Woman in Portrait: Eine Interviewreihe mit Frauen in Rio de Janeiro und Minas Gerais | Brasilien