Daniela Caixeta Menezes

Glückseligkeit

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Wie nur wird es werden?, fragte sie sich, da war er noch nicht unter der Erde, was werde ich anfangen mit diesen Trümmern meines Lebens, das nun eigentlich gar keines mehr ist?

Ziellos streifte sie umher, traute sich erst aus dem Haus, wenn es draußen dunkel wurde. Sie fürchtete sich vor den Blicken der Leute, mitleidig schauten auch jene sie an, für die sie immer nur Luft gewesen war. Der Tod, er verändert alles, dachte sie, selbst die Gleichgültigkeit der Menschen. Plötzlich wissen sie nicht, was sie mit mir anfangen sollen, mit der Frau, die noch viel zu jung ist, um allein zu sein. Allein an diesem Ort, zu dieser festlichen Zeit, in den Fenstern brannten die Kerzen, die bunt geschmückten Bäume, sie standen noch und niemand hatte sich die Mühe gemacht, Gardinen zuzuziehen.

Also lief die Frau durch die Straßen, schlich umher wie eine Katze auf leisen Sohlen, schlich von Fenster zu Fenster, spürte eine riesen Wut in ihrem Bauch, die den Menschen dahinter galt – mit ihren Kerzen und Bäumen und den Gardinen, die nur Attrappe waren. Zur Schau gestellte Glückseligkeit, möge sie ihnen doch in den Hälsen stecken bleiben, dachte sie, zusammen mit den Resten der Festtagsgans, dem eigens dafür gemästeten Federvieh.

Sie ekelte sich, vor der gestopften Gans, den mitleidigen Menschen, der großen Glückseligkeit, die hinter jeder Ecke auf sie lauerte. Im Hellen plagten sie die Sorgen, wie nur wird es werden, wie weitergehen, heute und morgen und an jedem anderen Tag? Erst mit der Abenddämmerung kam die Wut, nistete sich ein in ihren Magen wie ein Krebsgeschwür, wieso wird mir genommen und ihnen gegeben – die Fenster, die Gans, Glückseligkeit? Was nur tun mit diesem zertrümmerten Leben, das nun eigentlich gar keines mehr ist?

Allein streifte die Frau umher, sobald es dunkel wurde, im Bauch die Wut, das Herz arg schwer, Schmerz und Trauer und Einsamkeit explosiv vermischt. Im Haus am Meer, dort sollten sie sein, sie und er, der noch nicht lange unter der Erde lag, nur sie und er und rauschende Wellen, auf denen sie hineingleiten würden ins neue Jahr. Wenn sie fest die Augen zusammenkniff, konnte sie ihn sehen, wie er im Wasser stand, der tosende Wind wirbelte Sand in sein Haar, ein Lächeln auf dem Gesicht: Glückseligkeit. Entschlossen watete er den Wellen entgegen und mit jedem Schritt, den er tat, verkörnte das Bild vor ihren Augen, nein nein, rief sie verzweifelt, weinte, streckte die Arme aus, doch da war er bereits kopfüber ins Wasser gestürzt, hinab in die schwarze Tiefe.

Dann, plötzlich, eine Kinderstimme, ganz hell, ganz nah, die Frau blinzelte, blickte herab auf ein kleines Mädchen,

bist du traurig?, fragte es so selbstverständlich, als kannten sie sich.

Die Frau wischte mit ihrem Ärmel die Tränen weg, irritiert, überrumpelt, ein wenig beschämt, dass das Kind sie so sah, und überhaupt: Was tat es nur in dieser Dunkelheit hier draußen?

Ach, was soll’s, es ist ja nur ein Kind, dachte sie dann ohne Wut in ihrem Bauch,

ja, ich bin traurig, sagte sie schließlich und fühlte sich gut damit.

Das Mädchen neigte den Kopf zur Seite.

Ich bin auch manchmal traurig, rief es dann.

Ach ja?, fragte die Frau, und was machst du dann?

Nichts, antwortete das Mädchen.

Nichts?

Nichts, das geht vorbei, sagt meine Mama immer.

Die Frau lachte.

Eine kluge Frau, deine Mama.

Ja.

Das Mädchen dachte wieder angestrengt nach.

Willst du sie kennenlernen? Komm!

Es griff nach der Hand der Frau, zog sie hinein in die Wohnung mit den Kerzen am Fenster und dem noch immer geschmückten Baum.

Hin zur großen Glückseligkeit.