Daniela Caixeta Menezes

freundlichsein

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Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, er findet sich mit Umständen ab, mögen sie auch noch so empörend sein. Empörung kostet Nerven und weil davon niemand je genug hat, fügt er sich seinem Schicksal, der Mensch. Weil es unausweichlich scheint.

Bis zu dem Tag, an dem ihm das als unmöglich Geglaubte widerfährt, ihn in seinen Grundfesten erschüttert, seine gewohnte Welt zum Einsturz bringt. Dabei ist es nicht so, als besäßen nur die unguten, schlimmen Dinge diese übermäßige Kraft der Zerrüttung von dem, was eben noch war – Krankheit, Tod, Kriege. Auch das Gute kann uns ereilen, uns gewissermaßen auf dem falschen Fuß erwischen, wenn überhaupt nicht damit zu rechnen ist. Das Gute, für unsere ungeübten Augen in ein Mäntelchen gehüllt, wir erkennen es nicht. Lieber bleiben wir auf der Hut, wollen es nicht glauben, wollen uns keinen Bären aufbinden lassen, der gewohnte Blick: er schützt vor bösen Überraschungen, die hinter jeder Ecke lauern, spart uns Schreck und Nerven, anästhesiert.

So wandelt der Mensch durch eine herunter gedimmte Welt, bis zu jenem Tag, einem milden Vormittag im Frühling. Alles neu macht der Mai, doch der Mensch weiß noch nichts davon, alte, gewohnte Erfahrungen versperren ihm die Sicht, verhindern den Blick unter das Mäntelchen. Da steht er also, nimmt die Ware aus dem Regal, betrachtet sie, will sie in den Einkaufswagen legen, eilig und unsicher um sich schauend, als täte er was Verbotenes: einkaufen!, da ertönt hinter ihm eine Stimme. Beinahe wäre ihm das metallene Ungetüm aus seinen Händen zu Boden gefallen, so erschrickt sich unser Mensch, die Stimme, sie verstummt nicht, hat etwas Ungewöhnliches an sich, das ihm unbekannt ist, was will sie nur von ihm?

Laute, aneinandergereiht zu einem Gewirr aus ganzen Sätzen, angenehm für die Ohren, wenngleich so unsagbar fremd, dass unser Mensch aus seiner über Jahre gewohnten Lethargie gerissen wird. Er steht da, perplex, die Metallspüle vor den Bauch gepresst, während die Stimme spricht, zehn Minuten, fünfzehn, sie erklärt und berät und fragt, Fragen, auf die unser Mensch nicht zu antworten weiß, doch die Stimme, sie stört sich nicht am hilflosen, überraschten Schweigen.

Dann fällt unserem Menschen ein, was es mit der Stimme auf sich hat, er kramt tief in seiner Erinnerung, dringt durch dicke verkrustete Schichten, bis er entdeckt, was vergessen schien.

An diesem Vormittag im Mai erwacht unser Mensch, wie aus einem langen Schlaf, öffnet die Augen, schüttelt die Gewohnheit ab, er braucht den schützenden Panzer nicht mehr, jetzt wo er sie wiedergefunden hat: die Freundlichkeit.