Daniela Caixeta Menezes

Die Eintagsfliege

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Ein Tag ist ihr vergönnt in diesem Leben, oder vielleicht ist dieses dem unsrigen gar nicht vergleichbar, womöglich lebt sie eine andere Art Leben, in einer anderen Welt. Eine Welt, in der die Minuten zu Stunden, die Stunden zu Tage und die Tage zu einer ganzen Ewigkeit werden.

Eine Zeitrechnung, die ohne das Gestern auskommt, wie auch ohne das Morgen. Es zählt einzig und allein der Moment, das pure Sein, nicht das Haben oder Habenwollen. Alles, was ist, ist wahrhaftig, besitzt unschätzbaren Wert in diesem Leben; alles ist vergänglich, weil alles bereits vergangen ist – in diesem Leben ohne Bewusstsein, Gedächtnis, Erinnerung: das pure Sein, die nackte Existenz. Ein Tag, wie kein anderer, ein einziger Tag, der kein Davor kennt, genauso wenig wie ein Danach.

Lebt es sich besser so, erfüllter, entschleunigter? Würden wir mehr machen aus diesem einen Tag, wenn wir wüssten, dass dies der erste und zugleich der letzte wär’, würden wir weniger sehnen und hetzen, mehr finden als suchen, friedvoll und beseelt dieses unser einziges Leben leben?

Sie jedenfalls weiß nichts von all den Gedanken, die wir anstellen über diesen ihren einzigen Tag - und darüber hinaus; ahnt nichts von den Bürden, die wir selbst uns auferlegen, von den Zielen, die wir uns stecken und ständig korrigieren, weil es niemals reicht, weil diese Welt, in der wir leben, nie genügt. Sie kennt nicht dieses Streben nach immer mehr, das Schmieden von Plänen für eine Zukunft, die sie niemals sehen wird.

Die Arme, bemitleiden wir sie, wer will schon sein wie sie, nur ein einziger Tag ist ihr vergönnt, um alles zu tun, was sie begehrt. Die Arme, glauben wir, während wir zum Sprung ansetzen in die nächste Etappe, atemlos, volle Kalender, aber leere Herzen, die warten und darauf hoffen, gefüllt zu werden. Immerhin haben wir Zeit, meinen wir, viel Zeit, im Gegensatz zu ihr: der Eintagsfliege.