Daniela Caixeta Menezes

Ein Nachbar und sein Kater

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Er wohnt im dritten Stock, gleich neben der jungen Frau mit türkischen Wurzeln – welch Ironie. Tür an Tür wohnen sie da, seine zugekleistert mit faschistischen Stickern, allesamt hetzerische Parolen.

Nicht viel ist von ihm zu sehen, auch nicht zu hören. Fast abgeschieden lebt er da, er ist die Sorte Mensch, die horcht, ob die Luft rein ist, um sich auf den Flur zu wagen, will niemandem begegnen. Ein Einsiedler, der niemals in Kontakt tritt mit der Welt, zumindest nicht mit der, die ihn direkt umgibt. Was hinter dieser grünen Tür geschieht, soll dahinter bleiben, im Verborgenen.

In all den Jahren: kein einziger Blick in die Wohnung beim Passieren der Etage, nicht mal ein flüchtiger, darauf achtet er, schottet sich ab, lässt die aufgeklebten Botschaften sprechen.

Eines verregneten Nachmittages dann die Überraschung: sperrangelweit steht sie offen, die grüne Tür, seine Tür. Verdutzt geht man vorbei, verlangsamt den Schritt, traut sich kaum, hineinzuspähen, nach all den Jahren, tut es dann doch, die Neugierde verleitet dazu. Späht hinein und erblickt: einen Flur mit Garderobe, daran ein paar Jacken, ein Schal, dahinter ein Stuhl. Ein ganz normaler Flur, trotz allem, denkt man noch, dabei ist an diesem Mann beileibe gar nichts normal.

Das Herz klopft ein bisschen schneller, begegnen will man ihm nicht, das soll lieber die Polizei erledigen, wenn nötig, erst kürzlich war sie hier und hat ihn mitgenommen, heißt es.

Endlich reißt man sich los, von der Tür, vom Flur, geht weiter, wundert sich noch immer über diesen ungewöhnlichen Anblick der offenen Tür, ob was passiert sein könnte? Vielleicht liegt er dort, in einem der Zimmer hinter dem Flur, und ringt um sein Leben, könnte doch sein? Und wenn schon, ein Mensch mit solchen Stickern, soll der ruhig röcheln, lässt man sich hinreißen zu denken, ein Gedanke, fast so düster wie die Sticker selbst.

Ein Stockwerk höher, die Finger drehen gerade den Schlüssel in der Tür, da starrt vom nächsten Treppenabsatz ein grünes Augenpaar herüber, eine schwarze Katze, ihren schlanken Körper ans Geländer geschmiegt. Im nächsten Augenblick hetzt keuchend eine Gestalt die Stufen herauf, die Kleidung so schwarz wie das Fell des Tieres, die Haare verschwitzt, auf dem Gesicht der Ausdruck großer Verzweiflung. Den Kater, ob man seinen Kater gesehen habe?, will der Mann wissen, der viel kleiner ist, als man gedacht hätte, der außerdem ganz leise spricht, beinahe mit gebrochen tonloser Stimme.

Ein Kater also, denkt man, als ob das von Bedeutung wäre, sein Kater also, die offene Tür, der unbekannte Flur, nun ergibt es Sinn, er lebt, der Einsiedler, liegt nicht in seiner Wohnung und röchelt. Mit der Hand, die eben noch den Schlüsselbund umgriffen hat, zeigt man auf das Tier, das verschreckt zurückgewichen ist. Der Mann hastet nach oben, sieht den Kater, beginnt zu schluchzen. Das Tier, dreizehn Jahre, die letzte Verbindung zur verstorbenen Mutter, er sei doch alles für ihn, dieser Kater.

Er hebt ihn hoch, drückt ihn an seine Brust, nuschelt einen Dank, senkt den Blick, eher er mit dem Tier im Arm die Treppe hinunter geht, hinunter zu der Wohnung mit der grünen Tür, der Tür zu seiner Welt.