Drag und Arbeit

Im Gespräch mit Miss Galaxia, Drag Queen aus dem westfälischen Künstler*innen-Kollektiv House of Blænk.
Ein Freitagabend im August. Wir befinden uns im Vorhof der Burg Hülshoff, wo gleich die Performance „Drag Space” starten wird. Die Show ist restlos ausverkauft, alle wollen die Künstler*innen von House of Blænk sehen.
Und dann geht es los. Nebelschwaden. Laute, animierende Musik. Fünf Gestalten kommen hinter dem schwarzen Vorhang hervor, bewegen sich zur Musik. Zuerst sind nur ihre tanzenden Silhouetten zu sehen, bis langsam das Scheinwerferlicht auf sie fällt und sie sich als Flugbegleiterinnen zu erkennen geben. Sie tragen glitzernde Kostüme und sind aufwendig geschminkt. Nach der ersten Gesangseinlage begrüßen sie uns, die Reisegruppe: Ready for take-off? Bereit für den Abflug? Let’s go! Los geht’s!
Zwei Wochen später sitzt eine von ihnen – Miss Galaxia – in ihrer Wohnung und strahlt in die Kamera. Beziehungsweise sind sie und Daniel, als der sie sich im Alltag bezeichnet, gewissermaßen beide anwesend. Unser Gespräch dreht sich um das Thema „Arbeit”.
Daniela: Wer sind House of Blænk?
Miss Galaxia: Da wir sechs Drag Queens mit ganz unterschiedlichen Interessen, Fähigkeiten und Bühnenerfahrung sind, konnten wir uns damals auf keinen einheitlichen Namen einigen. Deswegen haben wir gesagt: Überlassen wir es den Zuschauer*innen, die Lücke selbst zu füllen. So ist House of Blænk (blank = englisch für Lücke, Anm. d. Redaktion) entstanden. Wir machen nicht nur Shows und Workshops, sondern auch Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung für die Thematiken aus der LGBTQ Community.
Daniela: Du kommst gerade von der Arbeit als Erzieher, Drag ist also eine Nebenbeschäftigung. Würdet ihr, wenn ihr könntet, den Hauptberuf an den Nagel hängen?
Miss Galaxia: Das ist sehr unterschiedlich bei uns. Ich würde mich voll und ganz auf House of Blænk konzentrieren, weil ich mich gerne kreativ mit verschiedenen Themen auseinandersetze und es liebe, auf der Bühne zu stehen.
Daniela: Kunst, Aktivismus, Arbeit – was trifft es am ehesten?
Miss Galaxia: Auch da haben wir ganz unterschiedliche Ansichten. Liberty zum Beispiel ist da sehr aktivistisch und versucht immer, politische Themen einzubauen. Für mich steht der künstlerische Aspekt an oberster Stelle.
Daniela: Wie definierst du den Begriff Arbeit für dich?
Miss Galaxia: Zum einen ist es natürlich wichtig, dass wir unseren Lebensunterhalt verdienen und eine Beschäftigung haben, auf die wir uns konzentrieren können. Aber Drag ist für mich auch Arbeit, denn das ist stellenweise schon sehr viel, was da auf uns zukommt und woran wir denken müssen. Aber in dieser Arbeit gehe ich komplett auf und das fühlt sich dann gar nicht nach Arbeit an.
Daniela: Wie viele Stunden arbeitest du dann insgesamt?
Miss Galaxia: Also hauptberuflich habe ich eine Vollzeitstelle, daneben komme ich sicher noch auf 20 bis 30 Stunden im Monat für Drag. Unsere Arbeit beginnt ja ein paar Stunden vor einem Auftritt, weil wir uns fertig machen müssen. Und danach muss die ganze Schminke natürlich auch wieder runter. Hinzu kommen Probentermine, Anfahrten, Entwicklung von neuen Shows. Das sind dann die Stunden, die oft nicht gesehen werden.
Daniela: Das ist jetzt ein guter Aufhänger für die Frage: Wie passt ihr auf euch auf, wie sorgt ihr für euer Wohlbefinden?
Miss Galaxia: Ja, Psychohygiene ist auf jeden Fall wichtig. Die geben wir uns auch untereinander. Im Grunde sind wir wie eine kleine Familie. Jede hat für jede ein offenes Ohr und wir nehmen gewisse Dinge sehr ernst. Es gab auch schon Momente, wo eine von uns gesagt hat: Leute, ich kann die Nummer jetzt nicht machen, mir geht’s nicht gut. Und dann überlegen wir uns da was anderes.
Daniela: In den letzten Jahren ist queere Kunst immer größer geworden. Gibt es Momente, in denen ihr euch trotzdem die Sinnfrage stellt?
Miss Galaxia: Klar, manchmal fragen wir uns natürlich: Ist das tatsächlich gut, was wir machen? Wenn es stressig wird, scherzen wir: Wir hätten doch einfach Tennis spielen können! Aber grundsätzlich ist uns sehr bewusst, dass unsere Arbeit enorm wichtig ist und zur Aufklärung beiträgt. Indem wir nämlich zeigen, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern auch ganz viel dazwischen. Und dass das auch okay ist.
Die Künstler*innen nehmen uns mit auf eine Reise durch das Universum. Wir besuchen den Mars, Alpha Centauri, die Venus. Zwischendrin immer wieder musikalische Einlagen: von japanischen Balladen über Disco-Hits bis hin zu Elton Johns „Rocketman”. Hier werden keine Genres und Emotionen ausgespart. Ebenso wenig lässt sich Drag Space kategorisieren.
Daniela: Im Begleitheft verwendet ihr den Begriff Labor.
Miss Galaxia: Drag ist immer auch ein Experimentieren, ein Herantasten. Denn immer wieder begegnen uns auch Menschen, die noch keine Berührungspunkte mit dieser Art von Arbeit hatten.
Miss Galaxia hat mir auch ein paar Dinge gezeigt, die ich mit in meinen Alltag als Daniel genommen habe – und umgekehrt sowieso.
Daniela: Stellt eure Arbeit auch automatisch eine Art Solidarisierung mit anderen gesellschaftlich unterrepräsentierten Gruppen dar?
Miss Galaxia: Drag Queens sind wie Galionsfiguren in der LGBTQ-Community. Wir stehen für all das, was jede Untergruppe für sich selbst wünscht: Dazuzugehören, akzeptiert zu werden und ein Teil der Gesellschaft zu sein.
Daniela: Schauen wir mal nach vorn: Alle sprechen von der Zukunft der Arbeit, Stichwort KI, und malen sich viele Horrorszenarien aus. Ist auch Drag in Gefahr?
Miss Galaxia: Ich glaube nicht, dass die KI einen so großen Einfluss auf die Drag-Kunst haben wird – zumindest nicht, solange es noch keine Roboter auf der Bühne gibt. Bis dahin werden wir wohl noch den ein oder anderen Auftritt haben. Die Drag-Szene wird sich auch zukünftig immer weiterentwickeln und neue Formen hervorbringen.
Daniela: Hast du Sorge, dass Drag irgendwann immer mehr marktwirtschaftlichen Größen gehorchen könnte?
Miss Galaxia: Natürlich hoffe ich, dass wir da weiterhin freie Hand haben werden, um unsere Kunst auszuüben und niemand aus unserer Community dem schnellen Geld hinterherläuft. Aber manchmal wird der eigentliche Gedanken von Drag auch unterwandert, zum Beispiel, wenn wir gefragt werden, ob unser Programm familienfreundlich ist. Oder wenn uns vorgeworfen wird, Kinder früh sexualisieren zu wollen. Da werden wir dann vorsichtig.
Daniela: Beim Thema Arbeit darf der Punkt Absicherung nicht fehlen: Wie sorgt ihr für’s Alter vor?
Miss Galaxia: Unser Vorsorgemodell ist momentan unser Hauptberuf, darüber zahlen wir in die Rentenkasse ein. Drag ist da schon eher eine prekäre Arbeitsform. Wir machen das, solange wir Lust dazu haben, vielleicht sogar bis 70. In diesem Metier kannst du auch nicht weit in die Zukunft planen. Momentan ist das Modell für uns so okay. Falls sich das irgendwann einmal ändern sollte, müssen wir uns nach einer Alternative umgucken. Lösungen gibt es ja für alles.
Daniela: Wer eignet sich mehr für Drag: Generalist*innen oder Spezialist*innen?
Miss Galaxia: Am Wichtigsten ist Leidenschaft. Ich muss authentisch sein, dazu stehen, was ich tue, wer ich bin und was ich zeigen möchte. Da ist es dann auch völlig egal, was für Ressourcen ich mitbringe.
Schlussszene. Durch den schwarzen Vorhang huscht eine Drag Queen nach der anderen. Lady Liberty Lestrange, Miss Jen da Faque, Moana Parks, Miss Galaxia und Ivonna Danza. Ein letztes Mal singen sie zusammen, bevor tosender Applaus erklingt.
Der Abend hat bewiesen: Im House of Blænk ‚is room for everybody‘ – jede*r ist hier willkommen.
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Dieser Text ist im November 2023 im Münsteraner Straßenmagazin draußen! erschienen.