Die verhinderte Autorin

Der/die Autorin: eine Person, die schreibt und publiziert, Texte unterschiedlicher Art – Romane, Essays, Gedichte. In der Hauptsache beschreibt dieser Begriff all jene, die schriftstellerisch aktiv sind, die Worte mit Bedacht oder Kunstfertigkeit aneinanderreihen, sodass sie einen (tieferen/schöneren) Sinn geben. Es braucht dafür: Papier, Stift, Ideen.
An Ideen mangelt es unserer Autorin nicht, nicht im Geringsten. Fein säuberlich notiert sie jede einzelne in einem kleinen Notizbüchlein, das auf ihrem fein säuberlich sortierten Schreibtisch liegt, fertigt Listen an mit jenen Einfällen, die ihr beim Duschen oder Kochen kommen, markiert die besten unten ihnen: neonorange Balken über’s gesamte Büchlein verteilt.
Jeden Morgen setzt sie sich hin, unsere Autorin, auf einen mit Lammfell bezogenen Armlehnensessel, legt die Unterarme auf dem fein säuberlich sortierten Schreibtisch ab, nimmt drei tiefe Atemzüge, atmet ein, atmet aus, setzt dann den Stift aufs Papier und: nichts.
Bricht ab, bevor sie angefangen hat, steht auf, läuft im kleinen Zimmer auf und ab, fühlt sich wie eine Wildkatze im viel zu kleinen Käfig – und hinter tausend Stäben keine Welt. Ruhelos wandert sie von Tür zu Fenster und wieder zurück, ihre Gedanken kreisen, sie will sie am Schopfe packen, zu Stillstand und Ordnung zwingen, doch sie entgleiten ihr.
Papier, Stift, Ideen, doch bevor sie schreiben kann, muss sie sich sicher sein, alles muss sicher sein, weshalb sie wieder von vorn beginnt mit dem Denken. Und während sie darüber nachdenkt, wie zu denken sei, verliert sie sich in ihren Gedanken, ein ums andere Mal, denkt, überdenkt, bedenkt – wird zur Bedenkenträgerin ihres eigenen Denkens, noch bevor sie den Stift ansetzt.
In Ihrem Kopf entspinnt sich, was sie schreiben will, nimmt Gestalt an, doch schreibt sie es nicht, bringt es nicht aufs Papier, weil doch zunächst erst alles durchdacht sein will. Nach einiger Zeit des Denkens und wildkatzengleichen Wanderns legt sie den Stift ab, legt ihn auf dem fein säuberlich sortierten Schreibtisch ab. Sie ist erschöpft, starrt auf das Papier, das vor ihr liegt, stellt ihn sich vor, den Text, sieht die Buchstaben tanzen.
Nur ihre Handschrift auf dem unberührten, schneeweißen Papier – die sieht man nicht.