Daniela Caixeta Menezes

Alarmglocken

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Hört ihr sie nicht schrillen, die Alarmglocken? Keine hundert Jahre ist es her. Tage, Wochen, Jahre unvorstellbaren Horrors, die sich für Generationen eingebrannt haben ins kollektive Gedächtnis.

Kaum sind die letzten Zeitzeugen von uns gegangen, werden sie lauter, die Glocken. Doch scheinen wir alle taub. Wehret den Anfängen, predigten sie uns, als die Wunden noch frisch, die Erinnerungen noch schmerzhaft klar waren.

Bis der Ruf nach Vergessen immer lauter wurde. Weg mit den ollen Kamellen, dem Vogelschiss. Sind wir nicht mehr als unsere Vergangenheit? Nicht alles war schlecht, damals, das wird man ja wohl noch sagen dürfen, sagen sie dann, während sie gleichzeitig behaupten, nichts sagen zu dürfen.

Auch jetzt treffen sie sich wieder, kommen zusammen in herrschaftlichen Schlössern in privater Hand. Geben sich keine große Mühe, zu kaschieren, was sie im Schilde führen, ja rühmen sich gar damit. Remigration nennen sie es ganz nonchalant – ein uralter völkischer Begriff, der wieder ganz en vogue zu sein scheint. Da hilft auch nicht, ihn zum Unwort des Jahres zu erklären. Denn dadurch verschwindet er nicht, genauso wenig wie die Ideen, die zirkulieren und bereits angekommen sind: in der Mitte der Gesellschaft.

Nicht bloß die historischen Parallelen sind frappierend. Aufmerksame Beobachter erkennen auch die geographische Nähe, ganz gewiss nicht unintendiert, zu einem der dunkelsten Orte deutscher Geschichte. Damals trafen sie sich in einer ehrwürdigen Villa mit Blick am Wannsee, wo sie in detailversessener Manier die Vernichtung von Millionen Menschen planten. Heute kleiden sie sich ins vermeintlich demokratische Gewand, um dann loszuhetzen: gegen die „Ausländer”, die „da oben”, gegen alle, die nicht auf Linie sind.

Ein Schulterschluss der Who is who der rechten Szene. Ein brauner Sumpf, der nicht über Nacht entstanden, sondern das Werk gemächlicher Unterhöhlung ist. Wem der thüringische Aufwiegler noch nicht das Blut in den Adern gefrieren ließ, dem mag der nunmehr aufgedeckte Pakt der bestens vernetzten, staatszersetzenden Ideologen aus Neonazis, AfD, Werteunion und Profi-Demagogen vielleicht endlich eine Lehre sein.

Gemach, gemach, ertönte es Jahr für Jahr aus den Reihen gutgläubiger Bürger und ihrer gewählten Vertreter. Die Institutionen würden es schon richten: Bundestag, Gewaltenteilung, das Grundgesetz – eine zweite Schoah, ein Umbau unserer demokratisch-freiheitlichen Gesellschaft in einen totalitären Staat: für alle Zeiten ausgeschlossen.

Die Geister, die wir riefen: sie sind da, haben sich eingenistet in den Ruinen unserer Geschichte. Einen langen Atem, den haben sie. Sie warten ab, belächeln, dass sie belächelt werden, schauen zu, wie sich die Demokraten unschlüssig sind und über Nichtigkeiten zu Rivalen werden.

Irgendwann, so wissen sie, könnte das Warten ein Ende haben.

Wie damals. Als die Glocken unbeachtet blieben.