Daniela Caixeta Menezes

52.760

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Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig.

Eine Zahl, zu groß, um schnell mal nachzuzählen, und doch verschwindend gering in einer Welt der Superlative, wo erst Millionen und Milliarden Aufmerksamkeit generieren.

Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig.

Eine Zahl, die – in Kilometern ausgedrückt – einmal um den Globus und dann noch einmal von Los Angeles bis Sydney führt.

Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig.

Eine Zahl, die für 52.760 Menschenleben steht, jedes einzelne von ihnen: ertrunken, verloren, vergessen, irgendwo im Nirgendwo.

Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig auf ihrer Flucht nach Europa Gestorbene zwischen 1993 und Juni 2023, Dunkelziffer unbekannt. 52.760 dokumentierte Opfer einer politischen Gemeinschaft, die in fernen Ländern Menschenrechte propagiert und sich im gleichen Atemzug immer weiter abschottet. Mit Frontex, Zäunen, Asylrechtsreformen, teuflischen Pakten. Die sich hehre Ziele auf ihre Fahnen schreibt und dann Autokraten dafür bezahlt, eben jene Ideale mit Füßen zu treten.

Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig Opfer, ihr Leben gelassen im Mittelmeer, auf dem Balkan, mitten in Europa. 52.760 Menschen: Kollateralschaden in der Logik einer Politik, die um Wählerstimmen fürchtet, gemacht für satte Gesellschaften, die nach (noch mehr) Wohlstand gieren. The prize one has to pay, man kann ja schließlich nicht jedem helfen.

Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig.

Und jeden Tag werden es mehr.

Erst gestern: ein siebzehnjähriger Eritreer, sein aufgedunsener Körper in Calais an Land gespült. Er starb, nachdem das Schlauchboot kurz nach dem Verlassen des Ufers in Schwierigkeiten geraten war.

Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig.

Aus Afghanistan, Syrien, Somalia, Sudan. 52.760 Menschen, aus Fleisch und Blut, mit Träumen, Hoffnungen, einem Rest Würde, einsam sterben sie, Name unbekannt: N.N.; Mütter, Väter, Kinder, sie warten und bangen, ahnen nicht, dass der geliebte Mensch längst unter den Toten weilt, einer von Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig.

Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig.

Eine Zahl, die von Schuld und Missachtung, von Gleichgültigkeit und Verdrängung erzählt.

Eine Zahl, die unser aller Anteilnahme verdient.

52.760 Frauen, Männer, Kinder, die unsere Nachbarn, unsere Freunde, unsere Familie hätten werden können. 52.760 Menschen, auf der verzweifelten Suche nach einem besseren Leben, gescheitert an Grenzen, die nicht naturgegeben sind.

Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig.

Nein, nicht jedem Einzelnen kann geholfen werden. Es gibt auch keine einfache Lösung. Aber eine humanistische Grundhaltung sollte Maßstab sein; eine, die Menschen schützt, anstatt ihnen mit Verachtung zu begegnen.

Zweiundfünzigtausendsiebenhundertundsechzig.

Mahnung und Auftrag zugleich.